25. April 2024

Arto Paasilinna: Heißes Blut, kalte Nerven

Die Bücher von Arto Paasilinna schwappten mir nach und nach ins Leben. Das Erste war „Der wunderbare Massenselbstmord,“ eine unfassbar skurrile vor aufregenden Einfällen strotzende Geschichte, die bislang und ungebrochen meine Lieblingsgeschichte von AP war. Bis heute:

„Zu Beginn des Stellungskrieges rechnete sich Antti aus, dass er noch fast fünfzig Jahre Lebenszeit vor sich hätte. Irgendwie ein erleichternder Gedanke in einer Welt, die Krieg führte.“

Die Historie Finnlands gehört eher nicht zu meinem Allgemeinwissen. Eine Ausstellung mit finnischer Kunst in unserem heimischen Gustav – Lübcke -Museum nahm ich als Anstoß, mich ein Bisschen einzulesen.Dass dies eine gute Vorbereitung auf Heißes Blut, kalte Nerven war, ist dabei ein schöner Nebeneffekt.

Finnland erklärte sich nach vielen Jahren zunächst unter schwedischer, später russischer Herrschaft 1917 für unabhängig. Im Dezember 1918 wurde diese Unabhängigkeit vom inzwischen bolschewistischen Russland bestätigt. Der Prozess der Ablösung und staatsinternen Neuordnung wurde begleitet von inneren Zerwürfnissen, die zu einem dreimonatigen Bürgerkrieg führten, der letztlich von den Bürgerlichen gegen die Sozialisten gewonnen wurde.

Heißes Blut, kalte Nerven

Der Held des Buches ist Antti Kokkuluoto und  – nein, viel einfacher zu lesen werden finnische Namen nicht. Antti Kokkuluoto wird zu Beginn des Jahres 1918, kurz vor dem oben erwähnten Bürgerkrieg geboren. Eine Freundin der Mutter, die Hebamme  und Wahrsagerin Linnea Lindemann sagt dem noch ungeborenen Kind das genaue Todesdatum voraus: Antti wird am 12.Juli 1990 sterben.

Paasilinnas Held nutzt seine geweissagte bis 1990 dauernde Unsterblichkeit, um in gefährlichen Situationen der Kriege, die Finnland gegen Russland führen wird und zwischenmenschlich nicht immer gewaltlos verlaufenden Begegnungen, die Geschicke seines Landes und noch viel mehr, die Entwicklung seiner Familie voranzutreiben. Er betätigt sich während der finnischen Alkoholabstinenz als versierter Branntweinschmuggler (schon die Beschreibung der Beschaffung ist großartig), nimmt mit seinem Vater und den gemeinsamen Pferden am finnischen Marsch nach Karelien teil und entwickelt sich zu einem angesehenen und erfolgreichen Geschäftsmann und Händler.

Paasilinna vermischt in seinem Buch in virtuoser Weise seinen Sinn für Skurrilität, bis zum Sarkasmus gefärbten schwarzen Humor mit einem oft sehr liebevollen Ton der nicht nur in solchen schönen Stilblüten gipfelt:

„In seinem kleinen Zimmer mit Blumentapete erprobten die beiden jungen Leute die Kompatibilität ihrer nackten Körper, schüchtern, aber eifrig.“

Seine Sprache ist einfach, Paasilinna zeichnet in diesem Buch, zum Teil lakonisch allerdings mit Sinn für Einzelheiten, die Geschichte seines Landes nach. Dafür, dass es kein Geschichtsbuch wird, sorgt allerdings die Familie des Antti Kokkuluot mit ihren Erlebnissen, die von Linnea Lindemann oft schon im vorhinein auf mögliche Ereignisse vorbereitet wird:

»Antti stirbt nicht im Krieg, hab keine Angst. Bei Tuomas bin ich mir nicht ganz sicher und bei den Pferden auch nicht, aber Tuomas ist ja schon recht alt, und Pferde kann man sich jederzeit neu kaufen.«

Wer Paasilinna kennt, wird typische Charakterbeschreibungen finden. Seine Protagonisten haben es meist faustdick hinter den Ohren, sind nicht ausschließlich gut oder schlecht, sind mit unterschiedlichsten Schwächen behaftet und bevölkern seine Geschichte doch als echte Sympathen. Auch wenn es durch den schnodderigen Ton so wirkt, als nehme Paasilinna Tod und Schrecken nicht ernst, wird durch die Beschreibungen, insbesondere des Umganges mit den gefallenen Gegnern deutlich, dass Paasilinna nicht zu elitärem, oder nationalistischen Gedankengut neigt.

Im Gegenteil. Den meisten Spaß, sowohl im lustigen Sinne, wie im zwischenmenschlich – emotionalen Erleben machen die subversiven Handlungen, mit denen Antti und seine Eltern, jede*r auf ganz eigene Art, sich dem Totalitarismus der unterschiedlichen herrschaftstrebenden Protagonisten entgegenstellen. Und der Erfolg, den sie dabei haben.

Fast nebenbei, so scheint es, beschreibt Paasilinna den Werdegang der modernen Republik Finnland, er räumt mit Mythen um den Langzeitpräsidenten Kekkonen auf, in dem er ihn als ganz normalen schlitzohrigen Finnen beschreibt, der genau weiß, wie die Finnen funktionieren und webt  internationale Ereignisse (z.B. den amerikanischen Börsencrash von 1929) – in nationalen Vorgänge nahtlos ein.

Auf diese Weise wird das Buch zweierlei: Eine Geschichtsreise durch Finnland, koloriert mit der Saga einer finnischen, wirtschaftlich erfolgreichen Familie oder die Geschichte einer finnischen Familie in einer national sowie international äußerst aufgewühlten Zeit.

Arto Paasilinna ist der König des Lakonischen und Subversiven. Heißes Blut .. ist eines seiner Meisterwerke.

 

Arto Paasilinna

Heißes Blut, kalte Nerven

Bastei Lübbe

ISBN: 978-3-404-17439-3
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Über Klaus Daniel 183 Artikel
Aufgewachsen bin ich mit Karl May. Tom Sawyer war ein Held meiner Kindheit. In Onkel Toms Hütte wollte ich einmal leben. Mein Hund sollte Jerry heißen. Ohne zu Lesen geht es nicht. Dabei ist kein Genre ausgeschlossen. Ich liebe Geschichten mit Happy End.