29. März 2024

Montagsnächte – Kathrin Wildenberger

Heute jährt sich erneut der Mauerfall

In den vergangen zwei Jahren, seitdem ich Montagsnächte besprochen habe, ist viel passiert: Pegida hat in perfider Weise versucht die Montagsdemos zu annektieren und für ihre ekelhaften Zwecke der Fremdenfeindlichkeit zu nutzen; die sogenannte AfD ist nun in allen Landesparlamenten vertreten; Nazis marschieren am 9. November, der auch der Jahrestag der Pogromnacht ist, mit der der organisierte Völkermord an über sechs Millionen europäischen jüdischen Menschen begonnen worden ist, durch Bielefeld, meinen Arbeitsort.

Der Mauerfall wurde eingeleitet von den Montagsdemonstrationen. Sie sind Sinnbild und Signal einer aufbrechenden demokratischen Bewegung. Diese Bewegung stand für Freiheit und gegen die Macht der Gewalt.

Heute möchte ich gerne wieder hören

Wir sind das Volk.

Und ich würde gerne hören

wir sind bunt und vielfältig und das ist gut so.

Vielen Dank an duotincta, den Verlag, der Kathrin Wildenbergers Montagsnächte und ihre Fortsetzung „Zwischenland“  veröffentlicht hat. Montagsnächte ist wichtig!

Zu Montagsnächte schrieb ich 2017:

Wo waren Sie am 9.11.1989??

Ich weiß noch genau, wo ich war! Ich saß den überwiegenden Teil des Tages auf dem Sofa und sah zu, wie Menschen im Fernsehen in Trabis fahnenschwingend über die Grenze zwischen Deutschland und Deutschland fuhren.

Immer wieder wurde der hilflos wirkende Mensch (Politbüromitglied Schabowski) eingeblendet, der bei der Pressekonferenz auf die Frage, ab wann denn die Grenzen geöffnet seien, auf seinem Zettel keine Antwort finden konnte und also sagte: Ab sofort.

Ich guckte mit Tränen in den Augen zu, wie sich Menschen weinend in die Arme fielen.

Die Mauer war offen.

Schon oft war ich auf Verwandtenbesuch in (West-) Berlin. Ich hörte im Kassettenradio Klaus Lage singen: „Auf der Autobahn, Transit DDR – West Berlin.“ Ich hatte Sorge vor den Männern in Uniform, die uns an der Transitstrecke befragten. Später lachten wir darüber, dass der kleine Michael, schon sehr grenzerfahren, von hinten krähte: „drei Erwachsene, ein Kind.“ – Und trotzdem hatte ich an der Grenze Angst, ich weiß gar nicht wovor. Für mich waren der Grenzübergang und die Fahrt über die Transitstrecke angstbesetzt. Alles wirkte grau und bedrohlich.

Das sollte nun vorbei sein. Wildfremde Menschen umarmten sich, freuten sich, waren schier aus dem Häuschen.

Und ich war es auch.

Ich wusste nicht viel über das Leben in der DDR. Für mich war die Welt hinter der Grenze ganz fremd. Ebenso die Menschen auf der anderen Seite.

Kathrin Wildenberger wurde 1971 in Sangerhausen/Sachsen-Anhalt geboren, sie lebt als freie Autorin in Leipzig und veröffentlichte zahlreiche Texte in Zeitschriften und Anthologien. Im März 2017 erschien „Montagsnächte“ in einer Neuausgabe im Verlag duotincta Berlin.

In ihrem Roman Montagsnächte lässt Kathrin Wildenberger Ania, eine junge Frau, erzählen, wie sie die Zeit von 1986 bis 1989 erlebte. Durch Ania habe ich den Alltag verschiedener Menschen in der DDR, von den Zusammenhängen politischen Kommunallebens und von den Reglementierungen einer Gesellschaft kennen gelernt.

Ania erlebt sich zunächst nicht politisch denkend oder handelnd. Sie wird zum politischen Menschen dadurch, dass sie sich eingeengt fühlt. 1986, Ania ist eine Jugendliche, sie mag Jeans, hat eine beste Freundin, eine jüngere Schwester, die nervt und sie verliebt sich zum ersten Mal.

Kathrin Wildenberger beschreibt eine Jugend, in der ich meine eigene in Teilen wieder erkennen kann. Verliebt sein, sich gegen die Eltern stemmen, alles ganz moderat. Wildenberger beschreibt die Welt aus einer Innensicht: Der Besuch der Familie aus dem Westen – mit Kaffee und Coca Cola im Gepäck. Wie sie hofiert werden, bringen sie doch auch einen Hauch von großer Welt mit.

Als Ania älter wird, Menschen kennen lernt, die sich bei den Friedensgebeten treffen, lässt sie sich mitreißen. Und sie trifft ihren ehemaligen Freund Bernd wieder, der inzwischen vieles erlebt hat und mit seiner Kamera als Chronist die Vorgänge des Herbstes 1989 begleitet. Bernd bringt sie mit Menschen zusammen, durch die sich Ania mit den politischen Vorgängen in der DDR beschäftigt. Ania erlebt ihre Geschichte des Erwachsenwerdens vor dem Hintergrund des Herbstes `89.

Kathrin Wildenberger beschreibt die friedliche Revolution von 1989 durch die Erlebnisse von Ania in einer sehr persönlichen und politisch engagierten Weise. Sie bindet mich als Leser dadurch so in die Geschichte ein, dass ich nicht mehr an „die da drüben“ denke, sondern mich stark mit den Menschen in der Geschichte identifiziere.

„Gab es das eigentlich schon mal, dass jeder neue Tag aufregender ist als der vorige?“

 

Während ich damals die lediglich die Meilensteine des Herbstes `89 fast häppchenweise in der Tagesschau sah:

Die Menschen in der Prager Botschaft

Das Öffnen der „grünen Grenze“ Österreichs

Gebete in der Nikolaikirche

Die Massendemonstrationen in Leipzig

Der Ruf „WIR SIND DAS VOLK“

– erlebt Ania dies und den Alltag in dieser Zeit aus ganz eigener Perspektive, einer Coming of Age Geschichte, die eine starke emotionale Verbindung zu ihren Leser*innen schafft. Montagsnächte ist überaus spannend geschrieben. Die Geschichte reizt zum Mitdenken, zum Reflektieren und zum Nachfragen.

Aus meiner Sicht sollte Montagsnächte in die Schulen gebracht werden. Denn Montagsnächte zeigt gelebte jüngste Geschichte und macht deutlich, mit welchem Mut und Verantwortungsbewusstsein Menschen im Herbst `89 gehandelt haben und es zeigt auch, wie dankbar wir über diese erste friedliche Revolution in Deutschland sein können.

Kathrin Wildenberger ist klar, dass sie ein Buch geschrieben hat, in dem sie eine für viele Leser*innen unbekannte Welt schildert. Deswegen stellt sie zur Vertiefung in ihrem Buch ein Glossar und Quellenangaben zu besonderen Texten zur Verfügung.

Silvia Walter vom Blog leckerekekse.de hat mit der Autorin gesprochen. Ihr Interview findet sich hier.

 

Montagsnächte

Kathrin Wildenberger

duotincta

ISBN: 978 3 946086 18 5

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Über Klaus Daniel 181 Artikel
Aufgewachsen bin ich mit Karl May. Tom Sawyer war ein Held meiner Kindheit. In Onkel Toms Hütte wollte ich einmal leben. Mein Hund sollte Jerry heißen. Ohne zu Lesen geht es nicht. Dabei ist kein Genre ausgeschlossen. Ich liebe Geschichten mit Happy End.

2 Kommentare zu Montagsnächte – Kathrin Wildenberger

  1. Hallo Klaus,
    auch ich denke, dass sich dieses Buch sehr gut für junge Menschen eignet um sich die damalige Zeit vor Augen zu führen. Ich freue mich schon sehr auf den zweiten Teil.
    Viele Grüße
    Silvia

    • Hi Silvia, vielen Dank. Ich bin auch sehr gespannt, wie es weitergeht und hoffe, dass Kathrin Wildenberger den Bogen weiterspannen kann.

      Viele liebe Grüße,
      Klaus

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