Ihr Bett war ein magischer Transitraum zwischen bedeutenden Werken und Nervenzusammenbrüchen. Zwischen der Lächerlichkeit Preisgegebenen und in den Himmel Hochgelobten. Die Besetzung wechselte recht unvorhersehbar, schnell war man aus der einen Gruppe in die andere gewechselt, das unterlag nur einem einzigen Regulatorsystem: Almas Gefühl der Wertlosigkeit. Doch das war egal: Es mangelte nicht an Wagemutigen, die sich in dieses Labyrinth der Manipulation hineinwagten, um sich früher oder später dem verletzlichen wie machtvollen Monster darin zu stellen.
Wie zwei Monde um einen Planeten wirbeln der Maler Oskar Kokoschka und der Biologe Paul Kammerer um Alma Mahler herum. Keiner kann ihr wirklich nahe kommen, keinem gelingt es aus eigener Kraft, die Umlaufbahn zu verlassen. Alma hingegen, äußerlich die „Femme fatale“, kreist innerlich um ihre alten Schuldgefühle dem früh verstorbenen Vater gegenüber.
Schon als kleines Mädchen hat Alma entdeckt, dass ihre Mutter es mit der ehelichen Treue nicht so genau nimmt. Ihre Affären und die ungeklärte Frage, wer der Vater der in der Ehe geborenen Kinder ist, werden allerdings vertuscht und verheimlicht. Almas Vater, der Landschaftsmaler Emil Schindler, verstirbt früh an den Folgen einer verschleppten Blinddarmentzündung. Die Mutter heiratet später ihre Affäre. Alma selbst wird in ihrem Leben drei Mal die Ehe eingehen und zahlreiche Affären, auch während der Ehen, führen.
Sie nimmt sich vor, diese Leere nie mehr erleiden zu müssen. Trennung bedeutet Leere, Schmerz bedeutet Leere, und diese Leere ist nicht einmal mit tausend ihr zu Ehren erigierten Gliedern aufzufüllen. Das Spiel mit Ersatzmodulen befriedigt nicht. […] Ihrem Vater will sie treu bleiben. Ehe heißt nicht Treue für Alma. Eine Ehe ist etwas Flatterhaftes, Vergängliches, Erschlichenes und Doppelbodiges.
Paul Kammerer ist Biologe und forscht über die Vererbung erworbener Eigenschaften vor allem an Geburtshelferkröten. Er kennt Alma aus ihrer ersten Ehe mit Gustav Mahler, den Kammerer leidenschaftlich verehrt, und ist häufig im Haus des Paares zu Gast. Als Mahler stirbt, arbeitet Alma in seinem Labor und Kammerer, selbst verheiratet und Vater einer Tochter, verheimlicht seine Liebe zu Alma nicht mehr.
Später werden seine zunächst vielbeachteten Forschungen angeblicher Betrügereien überführt. Kammerer nimmt sich, da er Scham und Schande nicht mehr erträgt, das Leben.
Kokoschka lernt Alma kennen, als ihr Stiefvater ihn mit einem Porträt Almas beauftragt. Er verliebt sich augenblicklich in sie. Es beginnt eine drei Jahre dauernde Hassliebe, geprägt von der massiven Eifersucht Kokoschkas und Almas Flucht vor innerer Nähe. Als sie von Kokoschka schwanger wird und ohne Rücksprache das Kind abtreibt, zerbricht die Beziehung. Kokoschka leidet noch lange, lässt eine lebensgroße Puppe nach ihrem Vorbild anfertigen, mit der er ein Jahr wie in einer Ehe lebt, bevor er sie zerstört.
Aber alles, was unsägliche Schmerzen bereitet, wie eine unerfüllte Fixierung, hatte einmal verlockenden Glanz, bot Lust und Freude, selbst die dunkelste Sucht beginnt im Funkelnden, auch wenn dies nicht von Dauer ist. Das Kaleidoskop dreht sich wieder, dreht sich und offenbart ein neues Bild. Man muss nur sehen wollen.
Julya Rabinowich beleuchtet in unterschiedlichen Zeitebenen das Geschehen, lässt den Leser in Rückblenden Zusammenhänge verstehen und greift, vor allem gegen Ende des Romans, zukünftige Ereignisse voraus. Sie wechselt dabei in die unterschiedlichen Perspektiven der Protagonisten, beschreibt anschaulich deren inneres Erleben und das Ringen mit sich selbst und miteinander. Das Buch ist intim, es kreist in erster Linie um das Innenleben der Protagonisten, nur gelegentlich wird der Fokus auf das Umfeld und das Denken und Geschehen ihrer Zeit geworfen.
Das Buch ist gut und auf jeden Fall eine Leseempfehlung. Dennoch ist mir das Lesen nicht leicht gefallen, habe ich mit dem Buch gerungen, ohne so recht fassen zu können, warum dies so war. Ob es die Perspektivwechsel extremer Charaktere war? Oder die Sprache, die manchmal direktiv, manchmal malerisch war? Oder ob dieses „Planetensystem“ auch den Leser mit einbezieht, der keinem der Protagonisten so richtig nahe kommen kann? Ich weiß es nicht. Es fiel mir recht schwer, dieses Buch einer der Kategorien unseres Blogs zuzuordnen, denn ein Buch, das einen Künstler oder eine Epoche aus dem Leben eines Künstlers beschreibt, ist es in dem Sinne nicht. Kokoschkas Malerei, wenn auch massiv beeinflusst von der Zeit mit Alma Mahler, steht nur am Rande. Letztlich werde ich mein „Fremdeln“ so stehen lassen und vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt, falls es sich klärt, mehr dazu schreiben können.
Julya Rabinowich: Krötenliebe
192 Seiten
Deuticke Verlag
ISBN 978-3-552-06311-2
ePUB-Format
ISBN 978-3-552-06323-5