Philip Krömer: ymir oder aus der hirnschale der himmel
Der Riese Ymir wird im Kampf mit Odin und seinen Brüdern erschlagen, aus seiner Leiche die Welt geschaffen: aus seinem Fleisch die Erde, aus dem Blut das Meer, aus den Knochen das Gebirge, aus den Haaren die Bäume und aus der Hirnschale der Himmel. So beschreibt es die Edda, die altisländische Sammlung von Götter- und Heldensagen. In ihrem Ursprungsland begibt sich eine merkwürdige kleine Gruppe auf eine Expedition mit zunächst unbekanntem Ziel. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs klettern sie in ein großes Loch, in dem ein steter Wind geht, niemand weiß, wie tief in die Erde dieses Loch reicht, wohin es führt, was sie dort finden werden. Es wartet Unerwartetes auf die Männer. Nicht alle werden von dieser Expedition zurückkehren, nicht alles wird berichtet werden. Mehr möchte ich hier nicht von der Handlung verraten.
Ich hatte selten ein Buch in der Hand, in der sich Plot, Sprachstil und graphische Gestaltung so hervorragend ergänzen. Keines dieser Elemente steht im Vordergrund, sie verschmelzen zu einem atmosphärisch dichten Ganzen. Philip Krömer entwickelt einen malerischen, kreativen Schreibstil, einzigartig, aber er steht nicht für sich, sondern unterstützt die Handlung.
„Still jetzt!“ fährt mir VonundZu über den Mund.
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„Ätzt ätzt“, kommt endlich – endlich!“ – das Echo. Ymirs Magen muss gigantisch sein.
Ich vermag Ihnen keinen Eindruck von der Höhle zu vermitteln, die wir durchwandern – weil ich selbst keinen gewinne. Die Strahlen unserer Lampen reichen schlicht nicht bis an die Decke. Welche es aber geben muss. Wie Ymirs Mundhöhle nimmt uns der Magen auf, um dann zehnmal, hundertmal größer zu sein. Sogar tausendmal ist möglich. Und mehr. Wir befinden uns auf freiem Feld unter einem, ja einem mond- und sternenlosen Nachthimmel. Unbeschreiblich!
Da nichts zu sehen.
Wir beschließen, unsere Wanderung an der Wand entlang fortzusetzen. Wenn ein Ausgang existiert, dann mit der größten Wahrscheinlichkeit am gegenüberliegenden Punkt dieses Hohlraums.
Mit einem halben Verdauungstrakt kommt ein Riese nicht aus.
Das Buch ist illustriert mit Zeichnungen von Friedrich Eduard Bilz aus dem Jahr 1938. Sogar der Schrifttyp passt perfekt zu dem Roman, der zunächst an Jules Vernes „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ erinnert, Ähnlichkeiten aufweist, aber dann wieder etwas ganz anderes ist. Philip Krömer lässt Europas Situation 1939 immer wieder durchblitzen, ohne dass dies die Handlung bestimmt.
Was dieser Roman uns sagen soll? Keine Ahnung. Aber es ist ein Hochgenuss, dieses gelungene Konglomerat an Sprache, Handlung und graphischer Gestaltung in der Hand zu halten und spannende Lesestunden zu verbringen. Ein fantastischer Debütroman!
Lesenswerte Rezension von Sandra Abbate hier
Zu dem Buch:
Philip Krömer: ymir oder aus der hirnschale der himmel
homunculus verlag
216 Seiten
ISBN 978-3-946120-18-6