Hin und Her-gerissen
fühle ich mich nach der Lektüre von Jerry der Insulaner, einer Geschichte, die mich in meiner Kindheit hingerissen und den Wunsch nach einem Hund für alle Ewigkeit befeuert hat.
In der vergangenen Woche hatte ich mir eine Ausgabe von Jerry, der Insulaner im Antiquariat besorgt, weil im wunderbaren Blog SÄTZE & SCHÄTZE von Birgit Bollinger das schöne Bloggerprojekt Der Hund in der Literatur ausgerufen wurde. Natürlich durfte einer der Helden meiner frühen Lesezeit da nicht fehlen. Jerry, der Insulaner war ein Buch aus dem Bestand meines älteren Bruders. Ich durfte es nicht lesen – in manchen Phasen brüderlichen Zusammenlebens passierte so etwas schon mal – das machte Jerry zunächst zusätzlich besonders. Ich habe Jerry also selbstverständlich zunächst heimlich gelesen. Jerry hat meine Fantasie für immer beflügelt. Abenteuer alleine bestehen, mit Witz, immer in der Lage dazuzulernen und immer in der Lage, Liebe zu empfinden: Das war Jerry für mich. Jetzt, als Erwachsener fiel mir sofort auf, was ich vorher nicht in meinen Erinnerungen abgespeichert hatte: Jerry wurde zum Rassisten erzogen.
Jack London hat Jerry erdacht. Jack London ist ein amerikanischer Klassiker: Hochgelobt, in die meisten Sprachen der Welt übersetzt. Aufgrund der Besonderheit von Urheberrechten gibt es zahlreiche Ausgaben seiner Bücher von vielen Verlagen. Im Original entstand Jerry of the Islands 1917. DER deutsche Übersetzer für Bücher Jack London war Erwin Magnus. Jack London schrieb unzählige Kurzgeschichten und viele Romane. Aus heutiger Sicht ist nicht immer klar zu unterscheiden, ob es sich jeweils um eine Geschichte für Jugendliche oder Erwachsene handelt. Er schreibt in seinen Abenteuerromanen über Entbehrungen, Abenteuer und dramatische Überlebenskämpfe. Jack Londons eigene Biografie spiegelt sich in vielen seiner Geschichten wieder. Er war Austernpirat, Robbenfänger, Arbeitsloser, Malocher in der Fabrik, Goldgräber und er ging selbst auf abenteuerliche Seefahrten.
In den Recherchen der letzten Woche fand ich heraus, dass Jack London, vermutlich auf Grund seiner eigenen Erlebnisse als „Underdog“ sozialistischen Ideen folgte.
Jerry, der Insulaner
Jerry ist ein irischer Terrier. Er wird um die Jahrhundertwende auf den Salomon-Inseln im Südpazifik geboren, in eine Welt hinein, in der sich die Gesellschaften der europäischen Einwanderer und der Ureinwohner sehr kriegerisch und doch im Handel mit Waren und Menschen gegenüberstehen. Jack London beschreibt eine weiße Herrenrasse, die er weit überhöht über die Ureinwohner stellt.
Als Kind regte mich besonders die Erzählweise an: Im Zentrum steht der Protagonist Jerry mit seinen Erlebnissen und Empfindungen. Jerry wird auf einer Plantage geboren und von Anfang an durch das Denken und Handeln seiner weißen Herren geprägt.
Jerry entwickelt ein intensives Seelenleben, liebt seine Menschen, lässt sich auf Neues und neue Menschen ein und handelt eigenständig. Allerdings handelt Jerry nie vermenschlicht, London betont oftmals die unterschiedlichen inneren Antriebsweisen von Mensch und Hund.
Das zunächst schöne Leben als Bordhund endet mit einem Überfall auf die Yacht, mit der Jerry unterwegs ist. Ureinwohner überwältigen die Mannschaft, Jerry wird nach wechselvollen Erlebnissen als Beute vom Lebendvorrat von Menschen verzehrenden Ureinwohnern zum treuen und kommunikativen Begleiter eines blinden Mannes. Jerry gerät immer wieder in bedrohliche Situationen, die durch unheilvolles und egozentrisches Handeln von Menschen ausgelöst werden. Jerry erlebt eine urwüchsige Welt, die fasziniert und abstößt.
Jerry wird im Buch gerettet, trifft sogar seinen Bruder Michael wieder, den er als Welpe verlassen musste und segelt am Ende einer schönen Zukunft entgegen.
Rassismus
Mein Problem mit Jerry und als seinem Erdenker – Jack London – ist: Die Geschichte zeigt einen tiefgreifenden Rassismus und widerspricht meiner Auffassung von der Gleichheit der Menschen zutiefst: London verwendet das N-Wort für die Ureinwohner. Er lässt Jerry darauf dressieren, die Ureinwohner zu jagen und zu terrorisieren. Auch die Ureinwohner werden mit rassistischen Ideen beschrieben: Häuptling Baschti überredet den Einsiedler des Stammes, der Jerry letztendlich zu sich nimmt, dazu, sich zwei Frauen zuführen zu lassen, um seine Gene weiter in den Stammespool einzubringen. Baschti will auch die nötigen Kosten für de Frauen übernehmen. Das Ziel: Die Rasse im Vergleich zu den Weißen zu verbessern. London ordnet einem Ureinwohner das Eingeständnis rassebegründeter Unterlegenheit zu.
Londons Geschichten führen oft dazu, dass derjenige, der sich am besten an seine (oft neue) Umwelt anpassen kann („Survival of the Fittest“ – siehe Wolfsblut und ähnliche), er verwendet in Jerry, der Insulaner mit seinen Fortpflanzungserzählungen von Jerry und Baschti Ideale, die rassistischen Ursprungs sind, was seine Geschichten für mich menschlich disqualifiziert.
Um meine Eindrücke zu überprüfen – vielleicht war es ja nur „zeitgemäß“ – er hat es nicht so gemeint – oder ähnliches, habe ich im Netz recherchiert und eine Kritik von Julian Köck zu einer Biografie Jack London´s von Alfred Hornung gefunden.
Köck schreibt: „Freilich läuft man gerade bei diesem Thema die Gefahr, anachronistische Urteile zu fällen: Wenn London beispielsweise die Überlegenheit der Weißen und den Niedergang indigener Kulturen diagnostizierte, dann ist dies weit weniger eine rassistische Aussage als eine zutreffende Beschreibung der traurigen Realität des Hochimperialismus.“
Und: Hornung tendiere dazu, London als einen spätestens auf Hawaii geläuterten Rassisten zu begreifen, der dort die indigene Kultur zu schätzen lernte und sich zum Antiimperialisten mauserte.
Für mich gilt, ich kann die imperialistischen Ideen und das rassistische Gehabe nicht von der Geschichte und auch nicht von Jack London trennen und bin jetzt in der unglücklichen Situation eine glückliche Kindheitserinnerung in der Erwachsenenwelt demontiert zu sehen.
Jack London
Jerry der Insulaner
hier: DTV Verlag