Peggy Guggenheim: Ich habe alles gelebt
Dieses Buch habe ich bereits vor einigen Jahren gelesen, ausgeliehen von einer lieben Freundin, die mein Interesse an Kunst teilt. Peggy Guggenheim beschreibt ihr abwechslungsreiches Leben in ungeschönter und nicht immer schöner Sprache. Die Begründerin der Peggy Guggenheim Collection in Venedig schien eine Grenzgängerin zwischen den Welten gewesen zu sein. Geboren in einer reichen New Yorker Industriellenfamilie konnte sie nur wenig mit ihrer gesellschaftlichen Umgebung anfangen. Als sie, volljährig, einen Erbteil ausgezahlt bekommt, distanziert sie sich und beginnt ein Leben mit vielen Facetten, Höhen und Tiefen. Sie lebt in Europa, lernt die Boheme in Paris kennen, hat Affären und Liebschaften, Ehen und Scheidungen. Sie unterzieht sich einer (misslingenden) Schönheitsoperation, unterstützt das Emergency Rescue Comittee – ungeachtet gesellschaftlicher Normen lebt sie, wie sie es für richtig hält. Mit Kunst beschäftigt sie sich erst spät, trotz ihres Onkels Solomon R. Gu
ggenheim. Dann aber entwickelt sie eine Sammelleidenschaft, infolgedessen Galerien in London, New York und schließlich in Venedig entstehen. Peggy Guggenheim verhilft mehreren Künstlern wie Cocteau, Kandinsky und Pollock zu Einzelausstellungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich Guggenheim endgültig in Italien nieder. Nach ihrem Tod werden ihre Räumlichkeiten im venezianischen Palazzo Venier dei Leoni am Canal Grande zum Museum.
Normalerweise lege ich bei Büchern großen Wert auf die Sprache. Dieses Buch ist schnodderig, teilweise regelrecht vulgär geschrieben. Peggy Guggenheim schreibt manchmal sprunghaft, manchmal ausufernd, manchmal sperrig. Eine sprachliche Bereicherung ist dieses Buch nicht. Es wirkt auf mich aber sehr authentisch, lässt die Figur Peggy Guggenheim lebendig werden, nicht nur als Kunstmäzenin, sondern auch als Frau und Mensch. Ihre Sprache spiegelt sie wider, in all ihren unterschiedlichen und manchmal widersprüchlichen Facetten. Darüber hinaus gibt dieses Buch einen wunderbaren Eindruck in die Welt der Kunst Anfang bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Der Leser schaut ein wenig hinter die Kulissen, lernt Künstler, deren Werke heute Millionen wert sind, in ihrer Menschlichkeit kennen. Wer sich ein wenig hinweg setzen kann über den uneleganten Schreibstil, liest hier eine spannende Biographie.
Auf den Spuren Guggenheims
Im Juni 2014 waren wir einige Tage in Venedig und haben das Guggenheim-Museum besucht. Das Museum ist verhältnismäßig klein, stellt aber eine exzellente Sammlung moderner Kunst aus. Man begegnet Surrealisten, Kubisten, abstrakten Expressionisten, im Garten finden sich Skulpturen, außerdem das Grab Peggy Guggenheims (sowie ihrer beiden Lieblingshunde). Eine Spannung ergibt sich aus dem alten (wenn auch unvollendeten) Gebäude aus dem 18. Jahrhundert und den modernen Werken, die in den großen Räumen einen ganz eigenen Reiz entwickelt.
Sportlich in Venedig
Ich kann von dieser Venedig-Reise nicht erzählen, ohne den Anlass zu erwähnen. Ursprünglich begann alles mit einem Auftrag, eine Gruppe von Paddlern bei der 40. Vogalonga fotografisch und filmerisch zu begleiten. Wenige Wochen später kam die Anfrage, wer sich für die Besetzung eines unvollständigen Paddelbootes zur Verfügung stellen könnte. In einem Anfall geistiger Umnachtung habe ich zugesagt, unwissend, was mich eigentlich erwartet. Ich dachte mir, dass es doch sicher ganz romantisch wäre, Venedig mal auf diese Art vom Wasser aus zu erfahren. Wohlgemerkt: Ich habe keine Paddelerfahrung, das letzte Mal hatte ich kurz vor der Jahrtausendwende als Studentin ein wenig auf dem Münsteraner Aasee gepaddelt. Die Trainingseinheiten auf dem Datteln-Hamm-Kanal
und auf dem Möhnesee ließen zwar langsam erahnen, was mir in Venedig blühte, trotzdem wollte ich dabei sein. Zur Info: Bei der Vogalonga paddeln sich die Teams auf einer gut 30km langen Strecke durch die Lagune einmal um und durch Venedig, hinzu kommt der Weg zu und von dem Start und Ziel am Markusplatz. Wir haben also an diesem Tag knapp 40km paddelnd zurückgelegt. Was brachte mir dieser Tag? Einen exorbitanten Muskelkater, dicke Blasen an den Händen, Sonnenbrand und strohige Haare (die einzige Möglichkeit an diesem Tag – mit 35°C im nicht vorhandenen Schatten – sich abzukühlen, bestand darin, das Käppi in das Salzwasser der Lagune zu tunken und sich über den Kopf zu stülpen). Und eine Erfahrung, die ich mit Sicherheit bis ans Ende meines Lebens nicht vergessen werde! Nicht nur, dass es mit der Mannschaft im Boot Spaß gemacht hat, nicht nur, dass ich meinen inneren Schweinehund schwungvoll in seine Grenzen verwiesen habe, in einer Sache hatte ich Recht: Auf diese Art und Weise Venedig zu erleben war einzigartig. Nicht nur die großartige Stadt vom Wasser aus zu sehen war hinreißend, sondern auch die volksfestähnliche Stimmung der zahlreichen Anfeuerer und Fans der Vogalonga mit ihrem Applaus und Jubel. Da in diesem Jahr 2600 Boote, also über 10.000 Teilnehmer, gestartet waren, war man spätestens mit der Einfahrt in den Canal Grande gezwungen, langsam zu fahren – was dem Genuss sehr zuträglich war.
Es muss nicht unbedingt die Vogalonga sein, aber Venedig ist eine sehenswerte Stadt, vor allem, wenn man die Zeit hat, sie etwas abseits der Touristenströme zu entdecken. Wer sich für Kunst interessiert, wird auf seine Kosten kommen – und begleitend lohnt sich die Lektüre dieses Buches.
Peggy Guggenheim: Ich habe alles gelebt
Bastei Lübbe