Aus, aus, aus! Aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister!
Nein. Es ist nicht aus. Es ist nicht vorbei.
Und „alles, was nach der Weltmeisterschaft kam, war wie ein einziges verlorenes Wochenende.“
Ein Mann (er wird als der „Schattenheld“ von seinem Autor Holger Dauner nie anders genannt werden) geht, wankt, schlurft durch den Regen, unter einem Himmel, der aussieht
„wie das verweinte Gesicht eines alten Mannes.“
Die unverwechselbare Einleitung macht es für jeden deutlich: Es geht um Bern und hier ganz besonders um die Folgezeit eines der Weltmeister von `54.
Es ist das Jahr 1969.
„Sein Wetter war es nicht, damals, er mochte keinen Regen, und eigentlich mag er ihn auch heute nicht. … Es regnete, es war wie die Taufe eines Heiligen, der Chef war zufrieden. Denkt er, zieht den Kragen noch etwas höher und geht weiter.“ Und wohin? In die nächste Kneipe…
Der Schattenheld geht jeden Abend in die selbe Kneipe; er lässt sich Bier und Schnaps bezahlen. Dafür erzählt er immer wieder die Geschichte des WM – Sieges – nicht immer erzählt er die Geschichte gleich. Inzwischen gibt es viele Varianten – denn oft erzählt er sie so, wie seine Zuhörer sie haben wollen.
Häufig verliert sich der Schattenheld in Erinnerungen, die nicht für sein Publikum bestimmt sind. Er erinnert sich an seine Hochzeit aber auch an die Massenerschießung, deren Zeuge er als Soldat im Zweiten Weltkrieg wurde.
Der Schattenheld erinnert sich an ein Benefizspiel, das die Helden von Bern 1968 in Braunschweig bestritten. Sie waren alt geworden und nicht mehr in Form. Der Boss war durch seine Wampe behindert. Alle Anderen rangen um Luft und mit den Alterserscheinungen. Der Schattenheld hätte gerne mit allen geredet: Über ihre Probleme nach der WM. Aber dazu kommt es nicht.
Dauer weckt Erinnerungen. Schlagermusik, Werbeslogans aus der Zeit, verqualmte Sportkneipen. Das typische Gedeck – Bier und Schnaps. So etwas wie ein zweites Wohnzimmer für Kerle. Trinken, schwadronieren und qualmen. Eine Zuflucht für den Schattenheld.
Der ist hin und her gerissen. Die Erinnerung macht alles unerträglich und sie trägt ihn doch durch den Tag. Zum Schluss muss der Schattenheld wieder durch den Regen laufen. Den er nicht liebt.
Biografie?
Holger Dauer erzählt eine fiktive Biografie. Dauer will keine Fakten verfälschen, die ihm nicht vollständig zur Verfügung stehen. Dauer will, dass sein Roman mehr ist, als das „Nachplappern des Gewesenen!“
Am Ende seines Buches gibt Dauer viele Linktipps. Sie verweisen auf den einen Helden, der am tiefsten gestürzt ist. Dessen Schicksal traurig macht.
Die Geschichte des Schattenhelden ist von einer schweren Melancholie getragen. Holger Dauner gelingt es, ein Schicksal zu beschreiben, das vielleicht so gewesen ist, einen Mann, der seinem Schicksal nicht entgehen konnte. Ob dies tatsächlich an Kriegstraumata liegt – oder der Tatsache, dass er für ein Leben nach der Weltmeisterschaft nicht gemacht war, ist nicht klar. Diese Biografie ist keine „was wäre wenn?“ Geschichte. Sie ist eine romanartige Biografie, die das wirkliche Leben vielleicht wiedergibt.
Mit seiner fiktiven Romanbiografie bewegt Dauer. Denn er wirft Fragen nach den wichtigen Dingen im Leben auf. Er stellt den Ruhm infrage und macht deutlich, dass gerade so strahlende Ereignisse wie „das Wunder von Bern“ tiefe Schatten hervorrufen können.
Der Schattenheld ist ein berührender Roman. Er sollte Pflichtlektüre sein – nicht nur bei Fußballfreunden, die sicher einiges Neues erfahren werden, sondern bei allen, die in den unterschiedlichsten Formaten miterleben möchten, wie Menschen vorgeführt werden, die den Ruhm suchen.
Holger Dauer
Schattenheld
Verlag duotincta
ISBN: 978-3-946086-16-1