20. April 2024

Putzfrau bei den Beatles – Birgit Rabisch

Zugegeben – ich war erst skeptisch. Der Verlag Duotincta beschreibt den Roman „Putzfrau bei den Beatles“ folgendermaßen:

[…]In „Putzfrau bei den Beatles“ heuert die junge Möchtegern-Schriftstellerin Jana als Putzfrau auf dem „Yellow Submarine“ an, um mit Ringo, George, John und Paul in die Vergangenheit ab- und in der Gegenwart wieder aufzutauchen. Doch nichts ist, wie es scheint, und dann entert auch noch ein Zwölfjähriger das Boot, der behauptet, Pauls Enkel zu sein… […]

Eine Art literarisches „Zurück in die Zukunft“ also, eine Zeitreise mit Science-Fiction-Anklängen? Nicht sicher, was mich erwartet, nahm ich das Buch zur Hand – und wurde angenehm überrascht.

Worum geht es?

Jana ist pleite. Nach einem abgebrochenen Studium haben ihre Eltern den Geldhahn zugedreht. Miete und Brötchen wollen jedoch trotzdem bezahlt werden. Eine Annonce mit einem Stellengesuch für eine Putzhilfe kommt also wie gerufen. Und so lernt Jana eine höchst seltsame und faszinierende Altherren-WG kennen: In einer „Yellow Submarine“-gelben Villa leben Prof. Dr. Michael Mann, Kristian Tugendhat, Dr. Thomas Kaufmann und Arnold Behringer, alle weit im Rentenalter. Und mit Marotten: Sie nennen sich nach den legendären Beatles, denn als Schüler hatten die vier die Schulband „Die Beating Boys“ gegründet und mit viel Verve und Liebe zur Musik Beatles-Songs gecovert. Mäßig erfolgreicher Berufsmusiker wurde jedoch nur einer von ihnen, die anderen drei verdienten ein sicheres Einkommen als Gynäkologe, Schuldirektor und Physikprofessor. Trotz der sehr unterschiedlichen Lebenswege blieben sie in Kontakt, bis sie schließlich im Alter auch räumlich wieder zueinander finden und beschließen, den letzten Lebensabschnitt zusammen in ihrer „Yellow Submarine“ zu verbringen.

Und das Alter fordert bereits seinen Tribut: Ringo sitzt im Rollstuhl, George leidet immer unübersehbarer unter beginnender Demenz, John hat seine ersten Herzinfarkte hinter sich, und überhaupt merken sie, dass es so ganz ohne Unterstützung nicht geht – ein Glücksfall für Jana, die nicht nur gutes Geld mit diesem Putzjob verdient, sondern sich auch langsam mit den alternden Männern anfreundet und mehr von ihren unterschiedlichen Lebensgeschichten erfährt.

Dann steht irgendwann Leander vor der Tür. Der Zwölfjährige behauptet, Pauls Enkel zu sein. Dieser, der sein ganzes Leben nur Affären und One-Night-Stands genossen hatte, ist wie vor dem Kopf geschlagen: Tatsächlich hat er in einer dieser unverbindlichen Nächte eine Tochter gezeugt, deren Sohn nun, nach einer Reihe von Schicksalsschlägen, darum bittet, bei ihm leben zu können.

Und so kommen auf einmal gleich drei Generationen zusammen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Die 68er-bewegten Musiker, deren Ideale im Laufe ihrer Biografien einer harten Probe unterzogen wurde und die sich jetzt, alt geworden, immer noch nicht einigen können, ob und wie der Weltfrieden erreicht werden wird. Jana, die als Schriftstellerin mit Schreibblockade irgendwo auf dem Weg zum Erwachsenwerden stecken geblieben ist, mit sich hadert, das Leben pragmatisch und weit weniger idealistisch angeht und damit schon im Kleinen mit der Senioren-WG in Streit gerät, die sich über das fehlende Engagement der Jugend echauffiert. Und dann Leander, der nach dem Verlust seiner Familie erst einmal wieder zurück ins Leben finden muss, aber, nachdem er zuvor einige Monate bei seinen christlich-fundamentalistischen Großeltern väterlicherseits verbracht hat, zumindest schon mal weiß, was er nicht möchte.

Birgit Rabisch, studierte Soziologin und Germanistin, beschreibt in diesem Roman die Konflikte, die zwischen den Generationen und ihren unterschiedlichen Herangehensweisen, das Leben zu meistern, auftreten. Dabei wirft sie auch einen Blick hinter die Ideale der jeweiligen Generation und hinterfragt hiermit deren Tragfähigkeit. Die Beatles-WG, deren Bewohner höchst unterschiedliche Lebenswege gegangen sind, stehen nun, etwa 50 Jahre nach ihrer gemeinsamen Band-Zeit, selber vor der Frage, inwieweit sie ihre Werte haben leben können und wollen, auch dann, wenn es unbequem wurde. Paul kommt nicht umhin, seine ausgelebte freie Liebe auch zu bedauern, da sie ihm vorenthalten hat, seine Tochter kennen zu lernen und ihren Weg zu begleiten. Aber auch innerhalb der Senioren-WG gibt es immer wieder heftige Auseinandersetzungen. Nicht zuletzt muss sie sich zunehmend damit auseinander setzen, wie ein gemeinsames Leben gelingen kann, wenn man zusammen alt und krank wird. Und Jana, die sich zunächst gegen einen pragmatischen Lebensweg entschieden hat, indem sie ihr Studium, das sie auf einen Brotjob vorbereiten sollte, aufgibt, um sich dem Schreiben zu widmen, muss erkennen, dass sie von Idealen und Träumen allein nicht leben kann, dass auch ihre Kräfte begrenzt sind und sie Entscheidungen treffen muss. Und sie erfährt, dass Pragmatismus nicht das Schlechteste ist, sondern eine tragfähige Grundlage für das Ausleben ihrer Träume bilden kann. Leander wiederum ist zunächst völlig orientierungslos und seelisch verletzt durch die Schicksalsschläge der letzten Monate. Sein unkonventionelles, gesellschaftlich nicht konformes Verhalten führt letztlich dazu, dass er wieder eine Heimat und eine Familie findet.

 

Was so schwer und inhaltsschwanger klingt, kommt im Roman recht leicht daher. Birgit Rabisch schreibt in einem erfrischend lockeren Stil, der gut zu den Perspektiven von Jana und Leander passt, aus denen die Handlung erzählt wird. Schon auf den ersten Seiten hat mich das Buch gepackt, ich habe es recht schnell in zwei Etappen durchgelesen. Rabisch schildert anschaulich nicht nur die Konflikte, sondern auch das Zusammenwachsen der kleinen Gemeinschaft, der WG und ihren Gästen und zieht durch ihren flüssigen Schreibstil den Leser mitten hinein in das Geschehen. Aufgefrischt wird das durch die eigenen Erinnerungen an die legendären Beatles-Songs – so habe auch ich in meiner Jugend im Zeltlager mehr als einmal am Lagerfeuer lauthals „Let it be“ mitgesungen und mich im ersten Liebeskummer von „Yesterday“ in meiner Weltuntergangsstimmung bestätigen lassen. Ganz leise schwingen durch den Roman aber immer auch die Fragen nach den Werten mit, die nicht nur im Einzelnen, sondern auch gesamtgesellschaftlich verteidigt werden sollten. Birgit Rabisch verwebt diese Themen leichthändig, ohne auch nur einmal moralinhaltig zu wirken.

 

Ich danke dem Verlag Duotincta für die Überlassung eines Leseexemplars.

 

Birgit Rabisch: Putzfrau bei den Beatles

Verlag Duotincta

ISDN 9783946086307

168 Seiten

 

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Über Andrea Daniel 61 Artikel
Bibliophil, kunstaffin und reisebegeistert bloggt Andrea über Bücher, Bücherreisen und anderes.