Nach meinem ersten Email – Kontakt mit Florian Kollert dachte ich: „Was für ein sympathischer Spinner“. Denn Florian Kollert schrieb mir, dass er „Gekentert“ als Jugendlicher gelesen habe und da dieses Buch ihn nicht losgelassen hatte und um es einem größeren Lese – Publikum bekannt zu machen, habe er sich entschlossen, einen Verlag zu gründen und das Buch neu zu verlegen.
Als ich das gebundene Buch in hochwertiger Ausführung (mit Lesebändchen) dann aber in Händen hielt wurde sofort klar, dass hier kein Spinner, sondern ein begeisterter Büchermensch am Werk gewesen war.
Jetzt musste nur noch die Geschichte halten, was Florian Kollert versprochen hatte. Und dies gerne vorweg: Die Geschichte hat noch viel mehr gehalten. Sie ist grandios. Wenn Sie sich also Zeit sparen wollen, lesen Sie nicht diesen Artikel – KAUFEN. SIE. DIESES. BUCH!
Gekentert
Jim Nalepka, einer der vier Schiffbrüchigen, hat sich nach dem unfreiwilligen Abenteuer mit Steven Callahan in Verbindung gesetzt, der selbst 76 Tage auf dem Atlantik getrieben war und ein Buch darüber verfasst hatte, um seine Erfahrungen auf dem Trimaran Rose-Noëlle in einem Buch zu verarbeiten.
Das Verschwinden der vier Männer hatte eine umfangreiche Suche nach ihnen ausgelöst, die allerdings durch verschiedene Fehlmeldungen erschwert wurden. (Sie hätten sich per Funk gemeldet, seien schon auf Tonga gesehen worden oder hätten per Funk Aufenthaltsorte weit ab von ihren tatsächlichen Positionen benannt) Im Anschluss an ihren Überlebenskampf wurde von zahlreichen „Fachleuten“ ebenso von verschiedenen Medien die Fahrt der Rose-Noëlle komplett infrage gestellt.
Jim Nalepka wollte mit diesem Buch die Geschichte nun aus der Sicht der gesamten Crew schreiben (lassen). Callahan nutzte für das Buch die Aufzeichnungen aus Jims und Ricks Tagebüchern, die Interviews, die Jim, Phil und Rick einem Reporter gaben, Zeitungsberichte, Wetterberichte sowie Kartenwerke über Driftströmungen, um ein möglichst vollständiges Bild der Reise zu geben. Da Jim keine seemännisches Wissen hatte, füllte Callahan den fachlichen Teil auf. Das Buch wird insgesamt rund durch die Details über die Suchaktionen sowie das Handeln der Angehörigen in ihrer Sorge um die vier Männer.
Es wird ein überaus komplexes Bild wiedergegeben von einem ungewollten Abenteuer von vier Menschen und ihrem gesamten sozialen Umfeld.
119 Tage im Pazifik verschollen
Phil, Jim, Rick und John starten im Juni 1989 zu einem Segelturn auf Johns Trimaran, der Rose-Noëlle, von Neuseeland nach Tonga. Den Trimaran hat John selbst gebaut. Dieser 6,5 Tonnen – Koloss liegt aufgrund seiner drei Rümpfe und seiner guten Gewichtsverteilung so fest auf dem Wasser, dass er unsinkbar ist, sagt John.
Die See beweist schon am dritten Tag der Reise, dass der Trimaran nicht kentersicher ist. Eine Riesenwelle wirft ihn um. Und damit beginnt ein abenteuerliches Ereignis, dass die Welt der vier Männer buchstäblich auf den Kopf stellen wird.
Die nächsten 119 Tage werden die Männer in einem auf der Deckenseite treibenden Trimaran leben. Sie werden Überlebensstrategien entwerfen, verwerfen und sich immer wieder auf neue Situationen einstellen. Und – sie werden diese Reise überleben.
Der Neuseeländer John Glennie hatte schon lange davon geträumt, diese Reise mit Freunden durchzuführen. Weil seine Freunde aber nicht zur Verfügung standen, nahm er Phil und Rick, zwei weitere Neuseeländer und Jim, einen amerikanischen Koch mit. Jim ist der Erzähler der Geschichte.
Die drei Mitreisenden verlassen sich auf die Anführerschaft und die Sachkenntnis des Skippers John Glennie. Er hat die Rose-Noëlle erdacht, gebaut und ausgerüstet. Leider werden sich viele der Sicherheiten und Souveränitäten, des John Glennie in den nächsten 119 Tagen auflösen.
In den folgenden Tagen wird nämlich genau diese Souveränität und der unbedingte Glaube an die eigene Unfehlbarkeit die Not – Gemeinschaft der vier Männer gefährden, sie wird Sicherheiten aufbauen, wo keine sind und die Rettung hinauszögern. Sie wird allerdings auch dazu führen, dass die Männer sich ein ums andere Mal neu abstimmen und voneinander emanzipieren.
John Glennie hat die Rose-Noëlle umfangreich mit Lebensmitteln und Wasser ausgestattet. Die Männer werden allerdings erst spät herausfinden, dass die beiden Wassertanks sich entleert haben. Da sie davon ausgehen, dass sie bald gerettet werden, gehen sie zunächst sehr verschwenderisch mit ihren Lebensmitteln um.
Sie geraten nach und nach unter Druck und beginnen erst nach einigen Tagen zu rationieren und sich Überlebensstrategien auszudenken.
Jim Nalepka erzählt sehr freimütig darüber, dass er in diese Gemeinschaft zunächst kaum etwas einbringen kann. Er ist Koch, kein pragmatischer Überlebenskünstler, so wie sein Freund Rick. Jim kennt das Boot nicht so gut wie John, der genau weiß, wo Werkzeuge verpackt sind und wie mit ihnen umzugehen ist. Phil ist in der Anfangszeit starr vor Angst Er wirkt zunächst nicht nur nicht hilfreich, sondern zunehmend störend. Doch auch Jim weiß nichts Gutes zu ihrem Überleben beizutragen.
So kommt es, dass sich zunächst Zweierteams an Bord bilden. Jim und Rick sind befreundet. Sie stützen und stärken sich und noch viel dichter am Leben: Sie wärmen sich und halten sich emotional stabil. John und Phil, die sich als Nachbarn kennengelernt haben, sind ebenfalls beieinander. Phil scheint aber vor allem die Angst dicht bei John zu halten, von dem er denkt, dass er ihre Rettung sein wird.
Die Situation an Bord der Rose-Noëlle spitzt sich allerdings zu: Das Boot, das auf dem Dach treibt, verliert durch die Luke, die zum Meeresboden zeigt, wichtige Ausrüstungsteile. In der Kajüte schwappt das Wasser – Die Männer kühlen zunehmend aus. Also errichten sie über dem Wasserspiegel, in der beklemmenden Dunkelheit des Bootsbauches einen Schlafplatz für Vier. Hier müssen sie sich warm halten und essen.
Der Skipper, John Glennie, nimmt es auf sich, in dem eiskalten Wasser in der Kajüte zu tauchen und Lebensmittel sowie wichtige Ausrüstungsgegenstände zu retten.
„Es klingt so banal, wenn man sagt, dass die kleinen Dinge im Leben in Wahrheit die großen Dinge sind, aber einige Zentimeter Band, ein wenig Petroleum und Speisestärke über getrockneten Nudeln können unsere Stimmung völlig verändern.“
Die Lektüre des Buches hat mich mitgerissen. Zu wissen, dass es sich um einen Tatsachenbericht handelt, ist fesselnd, geradezu elektrisierend. Hier stellt sich nicht die Frage des „Happy Ends“, sondern eher die Frage: „Wie haben diese Männer das geschafft? Was passiert als nächstes?
Denn bei diesem Abenteuer handelt es sich nicht um ein kalkulierbares Risiko, sondern zunächst um eine Abfolge ungünstiger Ereignisse, die leider verkettet werden mit Überschätzung, Ignoranz und Nichtwissen.
Die Männer schaffen es übrigens zu überleben und mit relativ heiler Haut nach Hause zu kommen, in dem sie über sich hinauswachsen, sich gegenseitig mit ihrem Können und Nicht – Können akzeptieren und demokratische Regeln verabreden und (weitestgehend) einzuhalten.
Ein großer Reiz dieses Buches geht von der großen Offenheit aus, die Jim Nalepka an den Tag legt. Er erzählt schonungslos von den Situationen, in denen er versagt. Er erzählt von den Umständen, die durch John, Rick oder Phil verbessert werden, die ihnen möglicherweise das Leben retten. Und erzählt von der besonderen Männerfreundschaft mit Rick, die sich durch ihr gemeinschaftliches Erleben in einer Weise verstärkt, wie er das nicht für möglich gehalten hätte.
Es gäbe noch Vieles über dieses Buch zu sagen. Das Wesentliche aber ist:
Lesen Sie dieses Buch. Es wird Sie bereichern!
Danke an Florian Kollert. Sie haben mir mit dem Buch ein wunderbares Geschenk gemacht.
Steven Callahan
Gekentert
119 Tage im Pazifik verschollen
Jim Nalepkas abenteuerliche Reise auf der Rose-Noëlle
Celsus Verlag
ISBN: 978 – 3 – 946737 – 00 – 1