Ein Wort zu „Trivialliteratur“
Als ich zehn Jahre alt war, zog meine Familie um. Ab sofort wohnten wir in unmittelbarer Nachbarschaft zur Städtischen Bibliothek, für mich also quasi direkt neben dem Paradies. Die „Wächterin“ dieses Paradieses lebte ebenfalls in der Nachbarschaft, und ihrer Gutmütigkeit habe ich es zu verdanken, dass ich gelegentlich auch mal außerhalb der Öffnungszeiten (nur drei Mal/Woche, da eine Kleinstadt) Bücher austauschen durfte. Zum damaligen Zeitpunkt habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht, welche Bücher ich mitnahm. Wenn sie mich ansprachen, nahm ich sie mit, las sie und freute mich, wenn sie mir gefielen. Wenn nicht, legte ich sie nach einigen Dutzend Seiten wieder weg. Bibliothekarin Luzi (an dieser Stelle ein herzliches „Danke!“ an sie!) öffnete mir ja immer wieder die Tür, wenn mir der Lesestoff ausging. Meine Freude an den Büchern war das einzige Kriterium.
In der Oberstufe brachte uns der Deutschlehrer in Kontakt mit „wertvoller Literatur“. Zugegeben, so wurde ich auf viele Bücher aufmerksam, die ich sonst wohl nicht in die Hand genommen hätte. Es machte mir Freude, mich in ein Buch „hineinzufressen“, mich zu konzentrieren, um auch „altbackene“ Sprache oder komplizierte Satzstrukturen zu verstehen. Allerdings begann ich damit auch, Bücher zu bewerten, ob sie wertvoll waren oder nicht. Es folgten Jahre unterschiedlichen Leseverhaltens, je nachdem, was gerade so anstand: Studium, Berufseinstieg, frisch verliebt, Liebeskummer, Umzug, Jobwechsel. Nie habe ich ganz aufgehört zu lesen, aber es gab Zeiten, in denen ich kurz davor war. Da kaufte ich mir immer wieder „wertvolle Literatur“, las sie aber nicht, weil ich die Energie nicht aufbringen konnte, mich in diese Bücher hineinzuknien.
Vor einigen Jahren arbeitete ich in einer enorm anstrengenden Stelle. Verbunden mit langen Zeiten des Pendelns war Lesen fast schon so etwas wie weitere, anstrengende Arbeit. Und ich bewertete Bücher immer noch nach „wertvoll“ oder „trivial“. Ein Umdenken verdankte ich der Diskussion mit einer jungen Buchhändlerin, die zu diesem Thema ein einfaches Statement von sich gab:
„Es ist doch völlig egal, ob ein Buch einen Preis bekommen hat oder diesen verdient. Die sogenannte Trivialliteratur kann wunderbar sein, wenn sie eine Geschichte gut erzählt – und sei sie noch so unrealistisch – und wenn sie gut unterhält.“
Hmmm, so unrecht hatte sie nicht. Am Tag, an dem ich meinen damaligen Job kündigte, erwachte in mir die uralte Leselust und ich fing wieder an zu lesen. Allerdings hatten die anstrengenden Jahre ihre Spuren hinterlassen, es dauerte, bis ich mich wieder längere Zeit auf ein Buch konzentrieren oder mich auf eine komplexe Handlung einlassen konnte. In dieser Zeit las ich Trivialliteratur. Und sie hat mich wieder zum Lesen zurück gebracht. Zugegebenermaßen hat keines der damaligen Bücher einen großen Eindruck auf mich gemacht. Aber sie haben mich gut unterhalten. Und das hat definitiv einen ganz eigenen Wert.
Heute sortiere ich Bücher wie früher: Wenn ich nach einem gewissen Einlesen nicht in das Buch „finde“, dann lasse ich es. Egal, ob das Buch von Kritikern hochgelobt und/oder mit Preisen ausgezeichnet wurde, oder ob es mit knallerbuntem Cover die „Freche Frauen“-Liga ansprechen soll. Entweder es gefällt mir oder ich lege es wieder weg. Nicht jedes Buch muss mich beeindrucken und prägen. Manchmal reicht es völlig aus, wenn ich ein paar unterhaltsame Stunden mit einem Buch verbringen kann.